Cafe Online
Kontaktschwierigkeiten ke nachsa-
kontaktschwierigkeiten kann man Graham Linn nicht gerade nachsagen. Dennoch verhält er sich auf den ersten Blick etwas eigenartig, wenn er ins Brain Wash" einläuft - eine Kaffee- Bar in San Francisco mit Waschsalon- Anschluß. Meist um die Mittagszeit kommt der Lichttechniker hierher, bestellt sich einen Caffè Latte, geht zielstrebig zu einem niedrigen Tisch, in dem ein Computerterminal eingelassen ist, legt seine Zigaretten auf die Tischplatte und stapelt seine 25-Cent- Stücke daneben.
Keine zwei Minuten später ist er nicht mehr ansprechbar, er befindet sich in einer anderen Welt: in einem anderen Kaffeehaus, das nur in seinem Computer existiert.
Das virtuelle Kaffeehaus, in dem sich Graham Linn und 4400 andere registrierte Nutzer treffen, ist Teil des SF NETs, eines Computernetzwerks in
San Francisco. Zwar schießen privat betriebene Bulletin Boards (BBS) für den elektronischen Nachrichtenaus- tausch in den USA derzeit wie Pilze aus dem Boden, doch das SF NET hat eine Spezialität: In 16 Cafés in und um San Francisco stehen öffentlich zugängliche, münzschluckende SF-NET- Terminals, die fast rund um die Uhr angeschaltet und über das Telefonnetz mit dem weltweiten Internet verbunden sind.
Wenn Graham Linn sich an einen dieser PCs setzt und sich unter seinem Nutzernamen Bacchus" einloggt, dann kann er fast sicher sein, daß für ihn eine elektronische Nachricht hinterlegt ist und andere Menschen in anderen Cafés bereit sind, mit ihm einen Kaffeeklatsch abzuhalten. „Als ich vor etwa einem halben Jahr nach San Francisco gezogen bin, war das SF NET für mich eine Einrichtung, die mir den Neuanfang in dieser Stadt erleichtert hat."
Über das SF NET erfährt Graham, wo Partys steigen, wann und wo sich Gleichgesinnte treffen, wie am leichte- sten eine Wohnung zu finden ist und wer gerade etwas zu verkaufen hat. Vor allem hatte ich gleich Leute, mit denen ich sprechen konnte." Anfangs kommunizierte Graham Linn über den Computer mit seinen Freunden, später traf er sie bei Partys, den sogenannten ,,Net Gets".
Nun, nachdem Graham Linn sich in San Francisco pudelwohl fühlt, möchte er erst recht nicht auf das SF NET verzichten. In seiner Mittagspause surft er, soweit sein Kleingeld reicht, durch das weltumspannende Computernetzwerk Internet, wühlt sich durch die Kommentare der SF NETter zur aktuellen politischen Lage oder spielt mit mehreren Leuten, die in den anderen angeschlossenen Cafés sitzen, Simul- tan-Schach.
Geschaffen wurde das SF NET von Wayne Gregori, 37, einem ehemaligen Systemberater in San Francisco. Er kann sich noch deutlich an die Geburtsstunde des SF NETs erinnern: als er an einem Februar Nachmittag 1991 in der Küche seines Hauses saß, bei einer Tasse seines vielgeliebten Kaffees und sich mit seiner Frau Jill wieder einmal über Gott und die Welt unterhielt. Erinnerungen kamen auf an Paris, wo er anderthalb Jahre Politik studierte und seine Abende in Cafés und Bistros verbrachte
Zurück in San Francisco stellte er fest, daß er die Cafés und die Gespräche am Kaffeetisch schmerzlich vermiẞte. „Ich sah die Bulletin Boards als eine Möglichkeit, die Menschen mit- einander in Verbindung zu bringen", erinnert sich Wayne Gregori. „Allerdings waren die BBS eher unbefriedigend. Meistens treibt sich dort nur eine ganz bestimmte Sorte Mensch herum, die wir nicht unbedingt erreichen wollten." Wayne Gregoris Pläne waren ehrgeiziger.
Computer müssten her, Computer, die für jeden zugänglich sind, ob arm oder reich, weiß oder schwarz. Selbst an die Obdachlosen dachte er. Auch sie sollten sich in sein Netzwerk einwählen können. Deshalb installierten wir einen Teil der Terminals ganz bewusst in den ärmeren Gegenden von San Francisco."
Da Wayne Gregori nun mal ein Mann der Tat ist, baute er schon ein halbes Jahr später die ersten kaffee- hausgerechten, münzbe- triebenen PCs zusam- men, mit einer Plastik- hülle über der Tastatur (Keyboard Condom"), um sie gegen verschütte- te Getränke zu schützen.
Heute, dreieinhalb Jahre später, stehen inzwischen 18 Terminals in 16 Cafés und Bars, von de- nen aus sich regelmäßig 900 der 4400 registrierten Nutzer einwählen. Insgesamt 32 Leitungen führen zu dem Computer in seinem Haus, einem schnellen PC mit dem 486er Intel-Prozessor, auf dem er die BBS-Software TBBS" von Esoft instal- liert hat.
Die Cafés sind jeweils mit einem eigenen Computer und einem Modem über die Telefonleitung mit Gregoris PC verbunden. Sobald sie Daten aus dem Internet anfordern, beschafft er diese über eine schnelle 56- KB-Leitung.
„Meine Erwartungen haben sich erfüllt", freut sich Wayne Gregori. Und tatsächlich: Wer sich im SF NET herumtreibt, der findet Menschen aller sozialen Klas- sen, aller Rassen, sexuellen Präferen- zen und mit unterschiedlichsten politischen Einstellungen.
Obdachlose, die ihre zusammen gebettelten 25-Cent-Stücke in die PC- Terminals einwerfen, nach einer Bleibe suchen oder einfach nur einmal plaudern wollen. Schüchterne, von deren Problem man auf dem SF NET nichts, aber auch gar nichts merkt.
Amateurdichter veröffentlichen über das Kaffehaus-Netzwerk ihre Werke und fühlen sich an die 50er Jahre erinnert, als die Beatnik-Autoren Kerouac und Ginsberg die Kultur in den Cafés von San Francisco bestimmten.
Das SF NET ist inzwischen zum festen Bestandteil von San Franciscos Subkultur geworden. Es finanziert sich vor allem über die 25-Cent-Münzen, die in die Computer gesteckt werden. ,,Aus manchen Terminals holen wir am Monatsende 200 Dollar raus, aus deren 800 Dollar."
Hinzu kommt noch die Gruppe von derzeit etwa 600 festen SF-NET-Nut- zern die jeden Monat sieben Dollar bezahlen, um sich von zu Hause aus mit dem eigenen PC bei Gregori einzuwählen.
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Wayne Gregoris Idee findet derzeit großen Anklang. Im Moment verhandeln wir mit vier weiteren Städten in den USA, die an unserem System interessiert sind. Sie wollen unsere Technologie mit 20 Kaffeehaus-Terminals übernehmen und ihr eigenes Netzwerk starten."
Die Fertigung dieser Terminals, die knapp 2000 Dollar pro Stück kosten, hat Wayne Gregori an die Firma Digit Design weitergegeben, an der er beteiligt ist. „Wir haben das in der Hoffnung getan, eine Art Mini-Revolution zu starten.
Natürlich soll das virtuelle Kaffeehaus langfristig nicht nur auf die USA beschränkt bleiben. „Wir verhandeln derzeit auch mit Leuten in Sidney und in Berlin." So scheint Wayne Gregori seiner Vision von einem internationalen, weltumspannenden Kaffee- Klatsch inzwischen immer näher zu kommen.
UWE WOLFF